Verloren im Wir



Als ich mich vor Monaten zu meiner Reise entschloss und die Flugtickets tatsächlich im Postfach lagen, war es für mich ein Befreiungsschlag. Ich hatte mich so sehr in meine eigene negative Gefühlswelt verloren, dass ich nur eines wollte: weg.

Weg aus meinem kleinen Zimmer in Konstanz, das noch so viele frische Erinnerungen in sich verbarg.
Weg von der gewohnten Umgebung, um meine Gedanken um andere Dinge kreisen zu lassen.
Und weg von dem existierenden Alltags-Ich, das meiner eigenen Vorstellung in keinster Weise mehr ähnelte.

Ich betitelte die Reise gern als "großes Abenteuer" vor dem Abschluss, aber ein kleiner Teil von mir wusste schon von Anfang an, dass es sich nach Flucht anfühlte. Zwar hatte ich es geschafft mich dem Alltag zu fügen, den Dingen seinen Lauf zu geben, aber eine kleine Stimme in mir konnte immer noch nicht zum Schweigen gebracht werden.

Alleinsein

Ich habe nie geglaubt, dass ich einen anderen Menschen brauche um glücklich zu sein. Ich war auch stets der lauteste Fürsprecher dafür, dass man auch alleine "ganz" ist, dass man sich zuerst lieben muss um einen anderen Menschen vollständig lieben zu können. Aber ich war auch immer der heuchlerischste Fürsprecher meiner eigenen Ideen, denn ich war die letzten neun Jahre meines Lebens nie wirklich allein. Und ich hatte diese Fähigkeit des Alleinseins verlernt.

Wenn man fast ein ganzes Jahrzehnt immer jemanden für eine zweite Meinung hatte, verlernt man seinem eigenen Bauchgefühl Vertrauen zu schenken und für sich selbst eine Entscheidung zu fällen. Wenn man für solch eine lange Zeit immer jemanden dicht an seiner Seite hatte, verlernt man vielleicht eines Tages allein zu gehen und sich den Weg selbst auszusuchen - ohne Kompromisse. Allein das "Guten Morgen" nach dem Aufstehen und das "Gute Nacht" zu Abend hat mich verlernen lassen den Tag für mich zu beginnen und zu beenden.

Ich habe mich während der Jahre so sehr an die Geborgenheit, an die Zärtlichkeit und die stetige Bestätigung eines anderen gewöhnt, dass ich mich allein unvollständig und verloren fühlte.

Ich habe mich in einer Zweisamkeit, in einem "Wir" verloren. 


Versteht mich nicht falsch - es hat mich nie jemand in meine "Rolle" der Freundin gezwungen oder dass ich mich unwohl gefühlt habe dabei. Ich bin vermutlich einfach ein Beziehungsmensch, jemand der gern für den anderen Kompromisse eingeht, sich plötzlich neue Hobbys zulegt, um den anderen eine Freude zu bereiten, jemand der sich ohne Probleme auf ein anderen Menschen einlassen kann und der nicht gern allein ist.

Das vergangene halbe Jahr habe ich aber dieses "Alleinsein" erst wieder lernen müssen. Ich musste lernen auf meinen eigenen Beinen zu stehen ohne mich anzulehnen und einen gedanklichen Rückzugsort zu errichten, in dem ich gern allein für mich war. In der Zeit habe ich auch mehr in mich hineingehorcht und mich selbst besser kennengelernt. Wahrscheinlich hat mir die Reise nochmal den letzten Kick gegeben, um auch allein für mich selbst funktionieren zu können und dieses "Alleinsein" zu schätzen zu lernen, denn es birgt auch viele schöne Seiten an sich - ich habe gelernt mich selbst herauszufordern, mich neu entzudecken und über meine Ängste hinwegzusehen.

Nie hätte ich gedacht für einen Moment meine Höhenängste überwinden zu können.
Nie hätte ich gedacht allein in den Flieger steigen zu können und auf der unteren Seite der Erdkugel zu landen.
Nie hätte ich gedacht wie viel Spaß mir das Leben außerhalb meiner Komfortzone machen würde.

Vielleicht werde ich im tiefsten Inneren immer noch eher der Typ Mensch sein, der nicht gern allein ist. Vielleicht werde ich innerlich immer das kleine Mädchen bleiben, das sich darauf freut jemanden seine "bessere Hälfte" zu nennen. Und vielleicht wird eines Tages jemand anderes sich die Zähne an meiner kleinen, improvisierten Mauer durchbeißen müssen. Aber für diesen Augenblick weiß ich, dass ich mich nicht mehr verloren fühle mit dem wer ich bin, wo ich bin und was ich tu.



Funkstille: Smart ohne Smartphone?

Eigentlich hatte ich es sowieso vor gehabt, eigentlich wollte ich nämlich die 10 Wochen meiner Reise so gut wie möglich aufs Handy, auf das Internet und auf meine mobile Abhängigkeit verzichten. Eigentlich wollte ich weder in Vietnam, noch in Australien mir eine Simkarte holen, das Handy nur zum Fotografieren nutzen und erst Abends im Wlan ins Netz gehen. Eigentlich.

Als ich aber in Vietnam angekommen bin, habe ich gemerkt, dass dieses "Ohne Handy"-Ding ziemlich einsam macht. Denn jedes Mal wenn wir in ein Restaurant, in ein Café oder irgendwo zum Ausruhen hinsetzten, zuckten alle unverzüglich ihr Lieblingsspielzeug raus und starrten allesamt auf ihre leuchtenden Bildschirme. Während ich sie dabei anstarrte, wie sie das Leben anderer stalkten und ihre eigene Chronik mit den neusten Bildern befüllten, musste ich irgendwann doch zugeben, dass mir die internetz-ische Freiheit fehlte und legte mir doch eine lokale Simkarte mit 3G an. 

Dann in der letzten Woche der Schock. Auf meinem Flug nach Sydney nach Saigon schaltete ich mein Handy aus und als ich es während des Transfers anschalten wollte passierte nichts. Ich dachte es läge am Akku, aber auch das Aufladen wollte nicht funktionieren. Kein rotes Lämpchen wollte blinken, das Anschließen am Laptop zeigte keine Reaktion. Tot. Einfach so. 

Und für mich bedeutete es der tatsächliche - zwar erzwungene - Urlaub von einem Handy und der Verbindung zur Außenwelt - der Erste seit über zehn Jahren

Funkstille

Gedanken eines Handyjunkies


Endlich habe ich seit gestern auch wieder ein Handy und fühle mich auch nicht mehr als würde ich ohne meine rechte Hand rumlaufen. Die letzten zwei Wochen ohne Handy waren definitiv eine interessante Erfahrung für mich - anfangs sind mir viele, viele Nachteile aufgefallen, aber auch einige Vorteile haben sich tatsächlich zeigen können, die ich mir unbedingt für den Umgang mit meinem Smartphone merken möchte.

#Abgeschotten

Man ist einfach raus. Raus aus dem System, fern von den sozialen Netzwerken und abgeschotten von seinen Kontakten. Natürlich konnte ich für den Notfall mal ein Handy ausleihen, aber seien wir mal ehrlich: Wer kann heutzutage noch Telefonnummern auswendig? Ich glaube die zwei Nummern, die ich noch heute auswendig kann, sind zum Einen meine Eigene und zum Anderen das Haustelefon meiner Eltern.

Ich habe mich zwischendurch fast schon "allein" gefühlt. Dieses dringende Bedürfnis unbedingt und immer erreichbar für alle zu sein und zu wissen, dass man jederzeit jeden erreichen könnte, war die ganze Zeit unterschwellig da.

Langsam fing ich aber an das Gefühl anders zu interpretieren: Ich fühlte mich irgendwie freier nicht immer erreichbar sein zu müssen. Es fühlte sich gut an für längere Zeit nicht von allen sozialen Netzwerken beschallt zu werden, von der Flut an Informationen mitgerissen zu werden und mal seinen eigenen Gedanken die Hauptfrequenz im Kopf zu gönnen. Ohne Handy war ich mir mehr bewusst darüber, wann und wie ich mich über mein Laptop ans Netz anschließen möchte, erreichbar bin oder Nachrichten aufrufe.


#NotForYourEntertainment

Ich bin ein Musikmensch. Ich liebe Spotify und mag es im Bus, beim Einkaufen oder Rumbummeln die Atmosphäre meines Alltags mit Musik zu untermalen. Manchmal liege ich auch einfach auf der Couch, lasse meine Seele baumeln und mich von Musik in Tagträume verführen. Selbst die Miu mit schlechter Laune lässt sich mit der perfekten Playlist ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Und nun stellt euch meine zwei Wochen ohne Musik vor - es war so furchtbar "trocken" und in meinem Kopf stelle ich mir immer noch vor, wie ich ganz griesgrämig durch die Straßen gelaufen bin, weil keine fröhlichen Melodien meine Stimmung auf Trapp hielten.

Aber nicht nur Musik hat mir gefehlt, auch die ständige Beschäftigung mit Fotobearbeitung für Instagram und das Lesen von Blogs hat mir einen großen Zeitblock freigeschaufelt, den ich anders zu beschäftigen hatte. Oder das Rumdaddeln auf dem Handy während man wartet - an der Bushaltestelle, am Flughafen, beim Zahnarzt oder im Café [wenn man mal wieder ganz Deutsch viel zu früh dran ist und die anderen die Anstandsviertelstunde einhalten]. Dadurch habe ich es beispielsweise in den zwei Wochen geschafft endlich zwei Bücher auszulesen, die schon länger auf mich warteten. Und ich habe ein vietnamesisches Buch wieder ausgebuddelt, dass ich nie richtig angefangen habe.

Oh, aber wie mir meine Kamera gefehlt hat! Das LG G4 [habe mir übrigens einfach das selbe Modell nochmal gekauft *höhö*] hat einfach eine fantastische Kamera und ich nutze gerne meinen Asiatin-Bonus um von allem [besonders von leckerem, hübschen Essen] und jedem Fotos zu machen!

#Sicherheit

Das hört sich vielleicht irgendwie merkwürdig an, aber ohne Handy habe ich mich deutlich unsicherer gefühlt. Auch wenn ich mich auf meinen Reisen immer gern mit Absicht verlaufe, habe ich mit Google Maps immer zurück gefunden. Oder auf Taxifahrten konnte ich mit dem GPS immer nachverfolgen, ob ich nicht vielleicht doch gemiunapt werde, um rechtzeitig die Türen aufzureißen und heldenhaft auf die Straße zu kullern. Oder wenn man sich verabredet hatte, konnte ich nicht nach zwei Minuten Verspätung kurz nachfragen, ob ich nicht vielleicht vergessen worden bin.

Ohne das gute Teil in der Hand musste ich mich wieder auf meinen Orientierungssinn verlassen [nicht gerade die beste Alternative, bei einem Orientierungssinn wie n Toastbrot], aber was ich auch sehr gern mochte: Ich bin mehr auf Menschen zugegangen um nach dem Weg zu fragen, habe viel Small Talk geführt und irgendwie entstand dadurch mehr Offenheit für das Zwischenmenschliche. Ich musste mich mehr in Geduld üben, nahm die Umgebung um mich herum viel deutlicher wahr und hab mich viel häufiger einfach auf mein Bauchgefühl verlassen.


5 Schritte

zu einem bewussteren Umgang mit dem Smartphone


Ich war oder bin *hust* extrem handysüchtig und das haben mir die vergangenen zwei Wochen definitiv bewusst gemacht. Und dieser puren Abhängigkeit des "Immer-Erreichbar-Seins", des Informationsflutes möchte ich versuchen entgegenzuwirken und dem Alltag mit 5 einfachen Schritten wieder ein Stück "Entschleunigung" zu schenken.

  1. Bewusst suchten: Nicht alle Feeds müssen komplett durchgescrollt werden. Ich möchte mir meine Suchtzeiten aussuchen und begrenzen. Statt zu sagen: "Nur noch kurz mal schauen, was so auf Instagram passiert", dann lieber "Ok, du hast jetzt 20 Minuten Zeit dafür". Und dass ich mir bewusst mache, wann ich die Angewohnheiten habe, mein Handy raus zu kramen und in diesen Momenten gerade absichtlich die Gewohnheit durchbreche.
  2. Internet ausschalten während des Unterricht, Meetings, Lerneinheiten oder wenn ich blogge oder an Projekten sitze. Damit ich mich wirklich zu 100% darauf konzentriere - für kurze Pausen kann ich immer noch schauen, ob ultra-super-dicke-wichtige Nachrichten eingetroffen sind [meist eigentlich nicht, sondern nur irgendwelche süße Tierfotos, die ich mir auch später anschauen kann].
  3. Handy in der Tasche lassen, wenn ich mit Freunden bin. Auch die Freunde darum bitten oder zur Not einen "Handy-Tower" bilden und der Erste, der nach dem Handy greift muss eine Runde ausgeben. Man muss auch nicht immer direkt alles googlen, was man nicht weiß, sondern kann darüber lustig philosophieren oder witzige Wetten abschließen.
  4. Später sind die Momente auch immer noch aktuell - lieber schnell ein paar Fotos knipsen, das Handy wegstecken und den Moment genießen. Instagram, Facebook und co. können auch später noch davon erfahren, was ich so erlebt habe.
  5. 15-30 Minuten vor dem Schlafen gehen das Handy auf Flugmodus stellen. Die Augen brauchen auch einmal Ruhe und der Körper soll sich bewusst aufs Ausschalten einstellen. Für den Flugmodus kann man es immer noch so einstellen, dass bestimmte Kontakte für den Notfall trotzdem anrufen können.


So viel zu meiner Handysucht - wie geht es euch mit eurem Smartphone?
Fehlt euch was, wenn ihr euer Handy mal daheim liegen lasst?

Und welche App erleichtert, verändert oder beeinflusst eurer Meinung nach das Leben gewaltig?